Oberstufe – Prüfungen und mögliche Abschlüsse
Mit der 9. Klasse beginnt die Oberstufe der Waldorfschule. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Endphase der Pubertät und durchleben nach der bereits vorher einsetzenden körperlichen Reife die Höhen und Tiefen seelischer Reifungsprozesse. Standen die ersten acht Jahre im Zeichen der KlassenlehrerInnenzeit, die Hülle spendete und Geborgenheit in der Gemeinschaft als Grunderfahrung vermittelte, so gilt es jetzt, die vielfältigen Aufgaben der Oberstufe mit Initiativkraft und Selbstvertrauen anzugehen.
Das Leitmotiv und die geistige Kompassnadel des jungen Menschen ist dabei die eigenständige Wahrheitssuche anhand der Frage: wie kann ich die heute zur Verfügung stehenden Techniken nutzen, um mich mit naturwissenschaftlichen, aber auch handwerklich-künstlerischen und ästhetischen Mitteln auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben? In diesem Sinne trägt jeder junge Mensch einen weiteren Teil zur Erforschung der Wahrheit bei, den er kraft seiner Persönlichkeit wiederum der Welt verleihen kann.
Diese Einstellung wird bewusst gepflegt als Kontrapunkt zur Auffassung, dass so vieles bereits erforscht sei oder dass ein einzelner nichts Neues erforschen könne.
An unserer Schule sind alle staatlichen Abschlüsse bis hin zum Abitur möglich. Zudem gibt es den sogenannten Waldorfabschluss am Ende der Klasse 12. Hier finden Sie detaillierte Informationen zu allen Abschlüssen, die an unserer Schule möglich sind.
Abschlüsse an der Freien Waldorfschule Aachen
Informationen für Schülerinnen und Schüler zu ZAP 2024
Informationen zur Zentralen Prüfung
Zu den Abschlussarbeiten an der Waldorfschule
Die Abschlussarbeiten bedeuten eine besondere Chance und Herausforderung für die Gruppe der etwa 18jährigen Zwölftklässler:innen. Das Projekt umfasst Facetten, auf die der Begriff "Abschlussarbeiten" nur teilweise zutrifft. Sie könnten auch "Aufbruchs- oder Anfangsarbeiten" heißen, denn es bedeutet für viele einen biografischen Durchbruch, vor vollem Saal einen Vortrag zu halten und sich einem großen Publikum zu zeigen. Ein bedeutungsvoller und aufregender Augenblick, der diese Arbeiten in die Nähe eines Initiationsritus rücken lässt und meist einen Wachstumsschub für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Erwachsenen zur Folge hat.
An manchen anderen Waldorfschulen heißen diese Projekte Jahresarbeiten, was auf einen langen Weg hindeutet, der streckenweise steinig und mühevoll sein kann – wie eine Gipfelbesteigung!
Ein Blick hinter die Kulissen: Eine Schülerin berichtete in ihrem Vortrag, wie in einer Phase von Verdruss und Mutlosigkeit eine schwer beladene Ameise vor ihren Augen langlief. Die Ameise schleppte einen Gegenstand, der um einiges größer war als sie selbst. Da fasste die Schülerin – voller Respekt für das unermüdliche Tier – wieder neuen Mut. Ihre Arbeit wurde schlussendlich von Erfolg gekrönt.
Am Anfang des Prozesses der Themenfindung steht die Qual der Wahl. Ohne irgendwelche inhaltlichen Vorgaben seitens der Schule gilt es, sein Thema zu finden. Möglichst etwas Neues, was man noch nie gemacht hat – also z.B. Kochen bei jemandem, der bis dahin über die Zubereitung eines Spiegeleis nicht hinausgekommen war. Aber auch das ist nur eine Empfehlung, um in den Genuss von Entdeckerfreude und Selbstwirksamkeit zu kommen. Wer sein schon lange ausgeübtes Hobby präsentieren möchte, dem steht auch dieser Weg offen. Vorgegeben ist lediglich, dass diese Arbeit einen praktischen und einen theoretischen, schriftlichen Teil beinhalten muss, der dann in einem 15-minütigen Vortrag und an einem Stand im Ausstellungsraum präsentiert wird. Dieser Schritt in die Sichtbarkeit gehört zu den zentralen Herausforderungen. Inneres Wachstum ist in der Regel der Lohn.
Der Themenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Zur Veranschaulichung hier nun einige Beispiele aus der Themenvielfalt in der Schulgeschichte: Portraitmalen; Einen Traktor restaurieren; Vegan kochen; Zauberkünste und Kartentricks; Einen Sarg schreinern und unser Verhältnis zum Tod erforschen; Bachs Doppelkonzert einüben und vorspielen; Über Wasser forschen und einen Brunnen bauen; Mittels des Nullpunkt-Energiefelded mit Tieren kommunizieren; Ein Pferd ausbilden; Komponieren und das Ergebnis zum Klingen bringen; Einige Wochen völlig ohne Uhr leben; Der Versuch, nur Unverpacktes zu konsumieren; Aus Kron-Korken Schmuck herstellen; Eine Visionssuche dokumentieren; Fast ohne Geld auf Wanderschaft gehen; Nach Südeuropa radeln und ein Video darüber erstellen; Eine Tanz-Choreografie erarbeiten und auf der Bühne zeigen – um nur einige zu nennen.
Es geht darum, seine Grenzen auszutesten und „dranzubleiben“, zu experimentieren und die Erfahrung zu machen: „Ich kann mehr, als ich dachte..!“
Also sein "mindset" zu dehnen, sein Selbstbild aufzuhellen und sich zu zeigen.
Die Präsentation der Abschlussarbeiten markiert einen Höhepunkt im Schulleben, ein berührendes "Erntedankfest der Waldorfpädagogik", in der es ja im Wesentlichen darum geht, die eigenen Stärken herauszufinden und den Mut aufzubringen, sich auszudrücken. Während der Schülervorträge kann man im vollen Saal „eine Stecknadel fallen hören“ – und jeder Vortragende kommt in den Genuss respektvoller, ungeteilter Aufmerksamkeit. Dieses Erlebnis birgt die Chance, als Lohn des Mutes zur Sternstunde zu werden.